Formenvielfalt zelebriert die Diversität und Schönheit von Geschlechtsorganen.
Im Gespräch mit den Menschen um mich herum, kommt immer wieder zum Vorschein, wie sehr unsere Beziehung zur Vulva nach wie vor schambesetzt und von gesellschaftlichen Idealvorstellungen geprägt ist. Viele Frauen haben das Empfinden, dass bei ihnen etwas nicht stimme – etwas, das es zu verstecken und zu verschweigen gilt. In unserer Kultur finden sich kaum Beispiele, welche die eigentliche Diversität des weiblichen Geschlechts kommunizieren. Stattdessen haben Normativität und Schönheitsideale unsere intimsten Körperteile erreicht. Mit meinen Zeichnungen möchte ich diese Lücke füllen: Mir ist es ein Anliegen, die Formenvielfalt von Vulven abzubilden und dadurch den Blick auf die Schönheit und Einzigartigkeit eines jeden Exemplars zu richten.
Die Vulva – offen, schön, stark und sensibel wie der Zustand von Eifer, von unablässigem Bemühen.
Vulva – In meinen Ohren immer schon ein wohlklingendes, vokallastiges Wort. Gleichzeitig enthält es aber auch etwas sehr empfindsames. Das Wort fühlt sich für mich ähnlich an wie rote Wangen: aus Eifer entstandene, rote Wangen. Ein spezieller Zustand von im Einklang sein: Ich mit mir allein oder umgeben von vertrauten Menschen. Für mich nicht möglich in einer Atmosphäre von Konkurrenz, Vergleich und Bewertung.
Vor Eifer rote Wangen hatte ich auch bei diesem Zeichenprojekt, einem der ersten Projekte die ich nach der Geburt meiner beiden Kinder realisierte. Mein primäres Interesse lag zunächst auf dem Aspekt der Diversität von Vulven. Die Problematik von Schönheitsidealen, herausposaunt und aufrechterhalten von Medien und Gesellschaft, bestimmt auch mein Mich-bewegen im öffentlichen Raum: Die rebellierenden Gefühle von Substanzlosigkeit auf der einen Seite und doch auch das nagende Gefühl nicht richtig zu sein, nicht gemeint zu sein und nicht vorzukommen auf der anderen.
Eine Strategie, mich in meiner Autonomie dagegen zu behaupten, ist für mich Abstandnahme, Reflektion und freudige Konfrontation. In der Auseinandersetzung mit der Physiognomie der Vulva war ich von Anfang an von dessen Vielfalt beeindruckt und begeistert. Im Ergebnis dieses Prozesses konnte ich feststellen, dass sich meinerseits die gesellschaftlichen Vorstellungen von dem, was schön ist, gänzlich aufgelöst haben. Ich bin bei meiner Arbeit auf keine einzige Vulva gestoßen, von welcher ich nicht berührt gewesen wäre über ihr einzigartiges Erscheinungsbild. Ja, es war ein einziges bewundern der Formenvielfalt!
Die Vulva ist für das sexuelle Empfinden unentbehrlich. Und damit auch unentbehrlich für die eigene Identität.
Neben der Diversität des weiblichen Geschlechts, hat mich zu dieser Arbeit auch die Tatsache bewogen, dass die Begriffe Vagina, Scheide und Vulva immer noch unzutreffend verwendet werden. Die Vulva beschreibt per Definition die äußeren, primären Geschlechtsorgane der Frau. Zu ihr zählen der Venushügel, die äußeren und inneren Schamlippen bzw. Vulvalippen, die Klitoris und der Scheidenvorhof mit den Ausgängen der Vagina, der Harnröhre. Die Vagina, im Gegensatz zur Vulva, beschreibt den innen liegenden Teil des weiblichen Geschlechtsorgans. Oft ist nicht bekannt, dass sich während der Pubertät die Vulva unter dem Einfluss weiblicher Geschlechtshormone ihr Erscheinungsbild verändert. Die Pigmentierung der Hautfarbe wird dunkler und die Strukturen der Vulva werden größer und ausgeprägter. Dies betrifft die Klitoris sowie die inneren und äußeren Schamlippen.
Für das Lustempfinden der Frau beim Sex ist die Stimulation der ganzen Vulva, insbesondere der Klitoris, entscheidend. Dadurch, dass aber meist die Vagina als Pendant zum Penis in Erscheinung tritt, wird der Fokus von der Vulva auf die Vagina verschoben. Wenn also Penis und Vagina als Gegenstück und Ergänzung zueinander auftreten, negiert die Sprache den Begriff der Vulva und somit das Vorhandensein der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane. Es besteht das Risiko, dass die Vulva im Denken und Handeln zu kurz kommt. Dabei ist, von anatomischen Gesichtspunkten aus betrachtet, eigentlich die Gegenüberstellung von Penis und Klitoris – als Teil der Vulva – zutreffend. Die Klitoris versteift sich, genau wie der Penis, bei sexueller Erregung durch den Blutstau und entspannt sich nach dem orgastischen Höhepunkt. Sie hat ein ähnliches Ausmaß wie der Penis, bzw. ihr Gesamtvolumen ist sogar größer. Während sich der männliche Penis jedoch zu etwa zwei Dritteln außerhalb des Körpers befindet, liegen 90% der weibliche Klitoris innerhalb des Körpers versteckt.
So sind die Untersuchungsergebnisse der Feministin Shere Hite aus dem Jahre 1967 nicht verwunderlich, die ergaben, dass zwei Drittel aller Frauen bei vaginalem Geschlechtsverkehr keinen Orgasmus hatten, bei klitoraler Stimulation jedoch schon. Um nun nicht in das Dilemma “vaginaler Orgasmus versus klitoraler Orgasmus” zu geraten, ist es wichtig, über die Anatomie der Klitoris näheres zu wissen. Der innen liegende Teil des Kitzlers umschließt nach hinten mit seinen beiden Schenkeln die Scheidenwände. Die vordere Innenseite der Vagina ist untrennbar mit den inneren Teilen der Klitoris verbunden. Die Vagina zu stimulieren, ohne dass dabei die Klitoris stimuliert wird, ist dadurch nahezu unmöglich. Vaginalorgasmen sind aus diesem Grund immer auch Klitorisorgasmen.
Das Sichtbarmachen des Unsichtbaren.
Oft werde ich danach gefragt, mit welchen Vorlagen ich bei meinen Zeichnungen arbeite. An dieser Stelle möchte ich allen Freundinnen und Bekanntinnen danken, die mir ein Foto als Vorlage zur Verfügung gestellt haben. Ich bin unglaublich berührt von eurem Vertrauen – und noch mehr erfreut über die Reaktionen, die alle auf die ein oder andere Weise ein großes Angetan-sein vom jeweiligen Ergebnis beinhalteten. Euer großzügiger und mutiger Beitrag macht dieses Projekt für mich um so vieles reicher. Danke dafür!